Sexarbeitsforschung - FAQ
Häufig gestellte Fragen
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Warum macht ihr die Studie?
Es lässt sich eine beträchtliche Forschungslücke in der arbeitspsychologischen Betrachtung der Sexarbeit ausmachen. Diese Studie zielt darauf ab, die Schließung dieser Forschungslücke durch Erfassung von Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Sexarbeiter*innen gehören einer Berufsgruppe an, die oft mit Stigmatisierung, Vorurteilen und gesellschaftlicher Marginalisierung konfrontiert ist. Auswirkungen der Arbeitsbedingungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Sexarbeiter*innen zu verstehen ist essenziell, um Risikofaktoren für Burnout und psychische Erkrankungen zu erkennen und gezielte Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln, um die psychische Gesundheit der Sexarbeiter*innen zu fördern.
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Wie seid ihr Sexarbeit gegenüber eingestellt?
Wir sehen Sexarbeit als Arbeit und die Beschäftigten als selbstbestimmte Arbeiter*innen. Wir erkennen auch die große Vielfalt des Arbeitsfeldes und der Beschäftigten an, die Verallgemeinerungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen unmöglich macht. Diese Untersuchung ist deshalb vor allem als Vorarbeit für zukünftige, spezifischere Forschung zu verstehen. Im Rahmen dieses Verständnisses wollen wir die Arbeitsbedingungen erfassen.
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Was versteht ihr unter „sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt“?
Da Sexarbeit in vielen verschiedenen Arbeitsumgebungen und Konstellationen stattfinden kann, verstehen wir „sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt“ erstmal breit und wollen uns nicht auf eine bestimmte Arbeitsumgebung oder ähnliches festlegen. Uns ist aber wichtig, dass diese Dienstleistungen in persönlichem Kontakt mit Kund*innen durchgeführt wird.
Besonders Sexarbeit im Onlinebereich sind so für uns nicht relevant, da es dort selten direkten Körperkontakt mit Kund*innen gibt. Zum Beispiel Pornodarsteller*innen, Darsteller*innen auf Camsites und Stripper*innen fallen nach unserem Verständnis nicht unter diesen Begriff und können somit nicht an der Studie teilnehmen.
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Warum stellt ihr Fragen zu Gewalterfahrungen?
Uns geht es darum, zu erfahren, welche Faktoren für Sexarbeiter*innen bei der Arbeit relevant sind. Sowohl in der Literatur als auch im ersten Teil der Studie wurden verschiedene Aspekte von Gewalt am Arbeitsplatz wiederholt genannt, sodass es uns interessiert, ob diese Aspekte auch von anderen Arbeiter*innen wahrgenommen werden. Da Gewalterfahrungen am Arbeitsplatz (unabhängig von Beruf) mit einem negativerem Arbeitserlebnis und Wohlbefinden einhergehen, ist es uns wichtig, hier nach den Erfahrungen zu fragen. Das heißt allerdings nicht, dass wir davon ausgehen, dass Sexarbeit ein einzigartig gewaltsamer Arbeitsbereich ist.
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Warum stellt ihr Fragen, ob ich frei meine Arbeitszeit bestimmen kann? Was wollt ihr da wirklich wissen?
Wir benutzen zum Großteil Standardinstrumente der Arbeitspsychologie, die nach bestimmten Konstrukten fragen, z.B. Autonomieerleben, soziale Unterstützung, emotionale Anforderungen, Work-life balance. Diese Fragebogen sind standardisiert und werden genauso auch für andere Berufsgruppen verwendet, oft auch, um unterschiedliche Ausprägungen zwischen Berufsgruppen zu vergleichen (→ hier ist zum Beispiel die deutsche Übersetzung von dem Fragebogen, aus dem die Fragen zur Arbeitszeit stammen: Copenhagen Psychosocial Questionnaire III).
Der Grad von Einfluss bei der Arbeit und der Entscheidungsspielraum, den ein*e Arbeiter*in hat, wirken sich stark auf das Arbeitserleben und die Arbeitszufriedenheit aus (hier zum Beispiel eine Studie der Arbeiterkammer Tirol, die diesen Zusammenhang gut beschreibt: https://tirol.arbeiterkammer.at/service/studien/240508_Euregio6-Autonomie-am-Arbeitsplatz.pdf). Das gilt für (fast) alle Berufe, nicht nur Sexarbeit.
Wie im Fragebogen geschrieben, stellen wir keine Fangfragen. Wir haben keinen Hintergedanken bei dieser Frage oder wollen irgendwas „wirklich“ wissen. Wir verstehen Sexarbeiter*innen als selbstbestimmte Arbeiter*innen, und im Zuge dieses Verständnisses wollen wir die Perspektiven von Arbeiter*innen erfahren.
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Warum stellt ihr Fragen zu "illegalem" Arbeiten?
Gesetze bezüglich Sexarbeit können kompliziert sein und Sexarbeiter*innen können (weshalb auch immer), sich dazu entscheiden nicht legal zu arbeiten.
Menschen, die nicht "legal" arbeiten werden kriminalisiert. Es hat sich aber gezeigt, dass Arbeiten unter Kriminalisierung ein höheres Risiko birgt, Gewalt zu erfahren oder schlechteren Arbeitsbedingungen ausgesetzt zu sein. Im Falle von solchen Erfahrungen können sich Sexarbeiter*innen auch selten an die Polizei wenden oder auf gerichtlichem Weg Gerechtigkeit einfordern. Auch bessere Arbeitsbedingungen können selten auf offiziellem Weg eingefordert werden.
Nicht legales Arbeiten wird aus diesem Grund meistens als Risikofaktor für schlechtere Arbeitsbedingungen verstanden. Deshalb stellen wir diese Frage. Ihre Antwort auf die Frage ist anonym und niemand kann Sie mit Ihrer Antwort in Verbindung bringen.
Im Bericht "Sex work, stigma and violence" von PROUDnl und AIDSFONDS wird dieser Zusammenhang zum Beispiel beschrieben (Kapitel 5.6):
(auf Englisch) https://aidsfonds.org/resource/sex-work-stigma-and-violence-in-the-netherlands/
(auf Holländisch) https://www.sekswerk.info/files/2021-09/0058-Rapport-onderzoek-geweld_web.pdf
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Was meint ihr mit Open Science? Was ist Open Science?
„Open Science“ (deutsch: „Offene Wissenschaft“) ist eine Bewegung, die Wissenschaft für alle zugänglicher und transparenter machen möchte. Es geht darum, Forschungsergebnisse, Daten und Methoden offen zu teilen, damit jede*r sie sehen und nutzen kann.
Forscher*innen veröffentlichen ihre Daten, damit andere Wissenschaftler*innen sie nachprüfen oder für eigene Studien verwenden können („Open Data“). Das hilft, Forschungsergebnisse zu überprüfen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Forscher erklären genau, wie sie ihre Experimente durchgeführt haben, damit andere diese nachvollziehen und gegebenenfalls wiederholen können. Das sorgt für mehr Transparenz und Vertrauen in die Wissenschaft. Diese Studie zum Beispiel wurde öffentlich präregistriert und ist für jed*en einsehbar unter: https://osf.io/dehwc.
Dies ist in der gesamten (psychologischen) Forschung wichtig. Im Forschungsfeld Sexarbeit ist es uns jedoch besonders wichtig, offen und transparent mit unserer Forschung und unseren Daten umzugehen, da es in der Vergangenheit Fälle gegeben hat, in denen Ergebnisse ohne die notwendige wissenschaftliche Sorgfalt veröffentlicht wurden.
Zusammengefasst will Open Science sicherstellen, dass wissenschaftliche Arbeiten nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, sondern für alle offen und überprüfbar sind. Das fördert Zusammenarbeit, Vertrauen und Innovation in der Wissenschaft.
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Kann mich jemand identifizieren, wenn der Datensatz veröffentlicht wird?
Der Großteil der Fragen, die wir stellen, können grundsätzlich nicht zur Identifizierung von Personen verwendet werden. Hier geht es hauptsächlich, um die Erfassung von erlebten Arbeitsbedingungen und dem generellen Erleben von Arbeiten.
Wir erfassen aber auch demografische Daten, also generell die Daten, mit denen jemand identifiziert werden könnte. Allerdings fragen wir diese Daten sehr breit ab. Wir fragen Alter und Nationalität nur in abgestuften Kategorien ab, von denen nicht auf einzelne Personen geschlossen werden können. Geschlecht wird direkt abgefragt. Sollten sich Teilnehmer*innen trotzdem nicht wohl fühlen, diese Angaben zu machen, können diese Fragen allerdings auch einfach nicht beantwortet werden.
Anmerkungen, die am Ende des Fragenbogens gemacht werden können, werden aus dem finalen Datensatz (also den Datensatz, welcher zugänglich gemacht wird) herausgelöscht und nur vom Studienteam gesehen. Auch identifizierbare Daten aus offenen Feldern werden entfernt bzw. umkodiert.
Wir erfassen keine technischen Daten (z.B. IP-Adresse, Gerätetyp oder ähnliches). Eine Zuordnung von Daten ist auch für uns als Studienteam nicht möglich. Die Daten sind anonym.
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Welche "identifizierbaren Daten" sammelt ihr überhaupt?
Dieser Fragebogen ist so konzipiert, dass er komplett anonym ausgefüllt werden kann. Als potenziell identifizierbare Daten erfassen wir nur demografische Daten (keine Namen oder Kontaktdaten). Allerdings fragen wir diese Daten sehr breit ab.
Diese Daten sind:- Alter (in abgestuften Kategorien)
- Nationalität (in abgestuften Kategorien)
- Geschlecht
- Dauer der Sexarbeit in Jahren
- Art(en) der Sexarbeit
- Land, in dem (hauptsächlich) gearbeitet wird
- Ob Sexarbeit haupt- oder nebenberuflich getätigt wird
Sollten sich Teilnehmer*innen trotzdem nicht wohl fühlen, diese Angaben zu machen, können diese Fragen allerdings auch einfach nicht beantwortet werden.
Informationen aus offenen Feldern (z.B. falls eine Person einen nicht aufgelisteten Ort der Sexarbeit eingeben möchte), die identifizierbar sind, werden selbstverständlich entfernt bzw. umkodiert.Außerhalb dieser wenigen demografischen Fragen stellen wir ohnehin Fragen, die nicht zur Identifizierung von Personen verwendet werden können. Hier geht es hauptsächlich, um die Erfassung von erlebten Arbeitsbedingungen und dem generellen Erleben von Arbeiten.
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Warum bietet ihr den Fragebogen nicht in mehr Sprachen an?/Wieso bietet ihr den Fragebogen nicht auf Rumänisch, Bulgarisch, Chinesisch, … an?
Tatsächlich sind wir nur ein kleines Forschungsteam mit begrenzten Ressourcen und diese reichen leider nicht aus, um mit so vielen Sprachen gleichzeitig zu arbeiten. Außerdem arbeiten wir mit standardisierten Instrumenten, welche nicht in alle relevante Sprachen übersetzt wurden.
Deshalb haben wir uns erstmal auf die Hauptsprachen in den Ländern, in denen wir erheben, konzentriert. Wir haben uns allerdings Mühe gegeben, dass besonders die deutsche Sprachversion leicht verständlich ist, sodass auch Personen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, teilnehmen können. -
Was ist das JD-R Modell?
Das job demands-resources Modell (JD-R; Bakker & Demerouti, 2007) ist ein Modell, das ursprünglich aus der Burnout-Forschung kommt, aber inzwischen in der gesamten Arbeitspsychologie verwendet wird. Das Modell geht von Faktoren (Arbeitsanforderungen; job demands), aus, die mit kognitiven oder emotionalen Aufwand verbunden sind, sowie protektiven Faktoren(Arbeitsressourcen; job resources). Es geht davon aus, dass Ressourcen Motivation und Engagement fördern, während Anforderungen Belastungen hervorrufen, die zur Entwicklung gesundheitlicher Probleme führen können. Das Modell ist äußerst flexibel und kann für unterschiedliche Arbeitskontexte verwendet werden. Somit sind auch die einzelnen Arbeitsanforderungen und -ressourcen arbeitsplatz- oder zumindest berufsspezifisch.
→ mehr über das Modell: Bakker, A. B., & Demerouti, E. (2007). The Job Demands‐Resources model: State of the art. Journal of Managerial Psychology, 22(3), 309–328. https://doi.org/10.1108/02683940710733115
Beispielhaftes JD-R-Modell auf der Grundlage von Bakker & Demerouti (2007)