Forschungsethik

Fragen zu unserem Forschungsverständnis haben wir hier beantwortet, angelehnt an die "Hinweise für Forscher*innen, die selbst nicht in der Sexarbeit tätig sind" von Hydra e.V. Berlin.

  1. Worin besteht Ihre (persönliche) Verbindung zur Sexdienstleistungsbranche?
    Ich habe keine direkte oder persönliche Verbindung zur Sexdienstleistungsbranche, bin also Außenstehende. Seit etwa zwei Jahren befasse ich mich jedoch intensiv mit dem wissenschaftlichen Diskurs rund um dieses Thema.
    Als Arbeitspsychologin betrachte ich Sexarbeitende als Arbeiter*innen im klassischen arbeitspsychologischen Sinne, d.h. als selbstbestimmt agierende Personen, die ihre Tätigkeit im Kontext psychosozialer Arbeitsbedingungen und Herausforderungen ausüben.
  2. Waren Sexarbeitende bereits an der Entwicklung, Planung und Ausführung Ihres Projektes oder Ihrer Geschichte beteiligt?
    Ja, Sexarbeitende wurden insbesondere in der Entwicklungsphase der Studie regelmäßig konsultiert. Wir haben mit Interessenvertretungen und Beratungsstellen zusammengearbeitet, um Feedback zu Konzepten, Interviewleitfäden und Forschungsvorhaben zu erhalten und diese gemeinsam weiterzuentwickeln. Diese Rückmeldungen halfen uns, das arbeitspsychologische Grundgerüst dieser Studie an die Bedürfnissen der Zielgruppe anzupassen.

    Dennoch ist natürlich anzumerken, dass aufgrund des kleinen Ausmaßes der Studie keine Peerforschung betrieben wird/wurde. Dass heißt, dass die Forschung (insb. Durchführung und Auswertung der Daten) letztendlich von ‚Außenstehenden‘ (d.h. dem Studienteam) betrieben wird/wurde.

  3. Auf welche Weise glauben Sie, dass dieses Projekt oder die Geschichte Sexarbeitenden direkt zugutekommen wird? Wie gedenken Sie ethische Standards im forschenden Umgang mit Sexarbeiter*innen zu berücksichtigen?
    Die psychosozialen Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden sind wissenschaftlich bisher sehr spärlich und qualitativ durchwachsen untersucht worden. Auch liegt ein starker Fokus der Forschung auf Ländern, die Sexarbeit ganz oder zum Teil verboten haben (z.B. USA). Außerdem sind Arbeitsbereiche, die im EU-Raum nur einen kleinen Teil der Sexdienstleistungsbranche ausmachen (z.B. Straßenprostitution) in Studien oft überrepräsentiert. Es lässt sich also eine beträchtliche Forschungslücke ausmachen. Diese ermöglicht es problematischen Akteurinnen, den öffentlichen Diskurs zu dominieren, während die Stimmen marginalisierter Personen, wie Sexarbeitender, kaum Gehör finden. Im öffentlichen Diskurs werden Erfahrungen von Sexarbeiter*innen oft vernachlässigt oder ihnen wird die Autonomie als selbstbestimmte Arbeiter*innen aberkannt.

    Die Erforschung von Arbeitsbelastungen dieser Gruppe kann dazu beitragen, gesellschaftliche und politische Einstellungen gegenüber diesem Arbeitsfeld zu verändern und Möglichkeiten zur besseren Unterstützung der Gruppe im Arbeitskontext und zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu identifizieren. Berufsverbände können sich diese Forschungsergebnisse zu Nutze machen, um für ihre Mitglieder einzustehen. Diese Untersuchung soll die psychosozialen Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden erheben, die sexuelle Dienstleistungen mit Körper-/Kundenkontakt in EU-Ländern erbringen, die das Regulationsprinzip praktizieren (d.h. Sexarbeit ist legal, aber reguliert; z.B. Österreich, Deutschland, Niederlande).

    Teilnehmer*innen werden vor Bearbeitung des Fragebogens über die Verwendung Ihrer Daten aufgeklärt (Einwilligungserklärung kann unter Downloads eingesehen werden). Des Weiteren geben wir uns Mühe, den Forschungsprozess so transparent wie möglich zu gestalten, damit Teilnehmer*innen auch erfahren, wie ihre Daten verwendet werden. Teilnehmende können ohne Angabe von Gründen die Bearbeitung des Fragebogens abbrechen, ohne dass ihnen daraus Nachteile erwachsen. Teilnehmende werden in vollem Umfang über Art, Ziel und Inhalt der Studie informiert. Wir arbeiten nicht mit Täuschung oder ähnlichen Methoden. Unsere theoretischen Annahmen können auf Open Science Framework (OSF) nachgelesen werden, da die Studie präregistiert wurde. Die Ethikkommission der Universität Wien hat der Studie im November 2023 die Genehmigung erteilt (Nr. 01044). 

  4. Wie werden Sie die beteiligten Sexarbeiter*innen für ihren Aufwand entschädigen?
    Sexarbeiter*innen können bei diesem Teil der Studie leider aufgrund von begrenzten Ressourcen nicht monetär entschädigt werden. Dies ist eine Herausforderung, der wir uns bewusst sind und die wir bei zukünftigen Projekten berücksichtigen möchten.

  5. Jede Arbeit mit Sexarbeiter*innen beinhaltet für diese ein gewisses Risiko. Wie haben Sie diese Risiken berücksichtigt und wie wollen Sie ihnen vorbeugen? Bitte machen Sie transparent, wie Sie die Daten der Sexarbeiter*innen schützen werden (z.B. Anonymisierung, Aufbewahrung, Löschung der digitalen Datenspuren).
    Sexarbeiter*innen füllen einen Fragebogen aus. Dieser Fragebogen erfasst hauptsächlich arbeitspsychologische Konstrukte, die grundsätzlich nicht zur Identifizierung verwendet werden können (z.B. Autonomieerleben, soziale Unterstützung durch Kolleg*innen, etc.). Es werden keine identifizierbaren Daten wie Kontaktdaten oder Namen abgefragt.
    Wir fragen allerdings auch demografische Daten (Alter in Kategorien, Nationalität in Kategorien, Geschlechtsidentität, Dauer der Sexarbeit, Art/en der Sexarbeit, Arbeitsland, haupt- oder nebenberufliche Tätigkeit) ab. Wir haben uns bemüht, nur das Nötigste abzufragen und das so breit wie theoretisch möglich. Außerdem ist die Beantwortung der demografischen Fragen nicht verpflichtend. Wir erheben keine technischen Daten (z.B. IP-Adresse, Gerätetyp, etc.), sodass eine Identifizierung über diese Art von Daten nicht möglich ist. Alle Daten sind anonym. Dass bedeutet, dass sie einer Person nicht zugeordnet werden können (auch nicht vom Studienteam oder anderen Personen).
    Die erhobenen Daten sind bis nach der Analyse nur dem Forschungsteam zugänglich. Im Sinne der Open Science und der Tatsache, dass es kaum arbeitspsychologische Sexarbeitsforschung (keine im europäischen Raum) gibt, wird der anonymisierte Datensatz auf OSF veröffentlicht (d.h. alle identifizierbaren Daten werden entfernt). Im Angesicht vergangener intransparenter Forschung, ist es uns Anliegen, dass wir den Forschungsprozess so transparent wie möglich gestalten. Dies dient in erster Linie der (Qualitäts-)Kontrolle durch forschende Kolleg*innen sowie selbstverständlich auch Interessensvertretungen von Sexarbeitenden. Alle Teilnehmenden werden vor Beginn des Fragebogens über diese Veröffentlichung informiert.

  6. Ein kurzes Forschungs-Exposé oder ähnliches, das Aufschluss über Methodik, Fragestellung und theoretischen Hintergrund gibt.
    Ein Forschungsexposé finden Sie unter „Downloads“. Des Weiteren kann unter https://osf.io/dehwc die Präregistrierung dieser Studie eingesehen werden, in der wir unsere Annahmen/Erwartungen schildern. 
  7. Bitte überlegen Sie, ob Sexarbeitende oder marginalisierte Minderheiten geeignete Forschungs’gruppen’ sind, falls Sie noch wenig Erfahrung mit wissenschaftlicher Arbeit haben. Streben Sie eine Publikation Ihrer Forschungsergebnisse in einem Peer-reviewed Journal an, um forschungsethisch dem zeitlichen Input seitens der beteiligten Sexarbeiter*innen gerecht zu werden?
    Eine Publikation der gesamten mixed-methods Studie (siehe Exposé) in einem peer-reviewed Journal wird angestrebt. Ergebnisse werden außerdem Berufs- und Interessensvertretungen sowie Beratungsstellen zur Verfügung gestellt, sofern diese sie für ihre Beratungstätigkeit oder politische Arbeit verwenden wollen.